Mittwoch, 29. Juli 2009

Reise nach Palästina im Oktober 2009

Angehörige des Freundeskreis versuchen durch Besuche den Kontakt zu dem Projekt und vor allem zu den Menschen vor Ort aufrechtzuerhalten. In KW 9 war eine Gruppe für eine Woche in Palästina unterwegs, mehr Infos dazu in Kürze! Eine zweite Gruppe wird in den KWs 43 und 44 2009 aufbrechen, die Flüge sind schon gebucht. Wer mitreisen möchte, sollte den Freundeskreis kontaktieren!

Anfragen für Gruppe II: an Stephan Maria Sommer

Ferien auf dem Siedlerhof

Während Israel und die USA über die jüdischen Ansiedlungen im Westjordanland streiten, setzen die dortigen Bewohner auf eine neue Taktik: Sie wollen mit Pensionen, Weinkellern, Cafés, Reitstunden oder Schwimmbädern Touristen anlocken - und sich so auf Dauer einrichten

Beit El/Chavat Jair - Wenn man Rivka Singer besucht, gibt sie einem nicht die Hand, denn fremden Männern die Hand zu schütteln, verbietet ihr der Glaube. Sie hatte um den Besuch gebeten, und auch darum, unter der Woche zu kommen. Freitagabends, wenn der Sabbat beginnt, empfängt sie keine Besucher, die mit dem Auto kommen, sie schaltet dann auch ihr Handy und das Internet aus und ist 24 Stunden lang unerreichbar. Rivka Singer ist 26 Jahre alt, im sechsten Monat schwanger und wohnt mit ihrem Mann Ari in der jüdischen Siedlung Beit El. Beit El heißt "Gottes Haus". Die Siedlung liegt zwischen der Palästinenserstadt Ramallah und einem Stützpunkt der israelischen Armee. An diesem Ort soll Jakob Gottes Stimme gehört und Engel gesehen haben, deshalb siedeln Menschen wie Rivka Singer hier. Sie sagt, sie wolle "nirgendwo anders" wohnen als in Beit El. Die Luft, sagt Rivka Singer, immer wieder, "ja, vor allem die gute Luft", sei auch ein Grund für Beit El. Die "ideologischen Gründe", die für Beit El sprächen, versteckt sie in einem Nebensatz, auf den sie dann später, bei einem Spaziergang zum Schwimmbad und zum Kleintierzoo der Siedlung, mit einem Schulterzucken zurückkommt: "Ich verstehe gar nicht, wo der Unterschied liegen soll zwischen Tel Aviv und Beit El! Beides gehört zu Israel."

„Sie sehen kein einziges palästinensisches Dorf“: In Chavat Jair gibt es daserste Café in einer illegalen Siedlung (oben). Das Ehepaar Singer (unten) ausdenUSA will „nirgendwo anders“ wohnen als in BeitEl. Fotos: Dinu Mendrea

Rivka Singers Ehemann Ari, auch 26 Jahre alt, redet, wie alle Siedler reden: "Unsere Vorväter haben hier gelebt, deshalb leben wir heute hier." Siedler sind so sehr damit beschäftigt zu sein, was sie sind, dass sie sich kaum vorstellen können, jemand könnte anders denken als sie. Ari Singer lässt sich gerade als Fremdenführer für die biblischen Stätten von Jehuda und Schomron ausbilden, so nennen die Siedler das Westjordanland in Anlehnung an die Bibel. Er kann eine halbe Stunde über Jakobs Engelserscheinung reden, er kann aber auch wütend werden. Ari Singer kommt aus Brooklyn und ist vor acht Jahren nach Israel eingewandert. Über US-Präsident Barack Obama, den er nicht gewählt hat, regt er sich auf, "aber so richtig", wie er sagt. "Wie kann Obama einen Baustopp in den Siedlungen verlangen? Wo sollen wir denn hin?" Es sei ja nicht so, dass Frieden käme, "wenn wir hier wegziehen. Die Palästinenser wollen alles, auch Tel Aviv und Haifa!"

Die Singers suchen seit Monaten nach einer größeren Wohnung, könnten aber keine finden, sagen sie, weil eben schon jetzt nicht mehr in den Siedlungen gebaut werde. Es fällt schwer, ihnen zu glauben. Von draußen dringen arabische Wortfetzen in das Wohnzimmer des jungen Ehepaars. Die Nachbarn lassen gerade ihr Einfamilienhaus von fünf palästinensischen Bauarbeitern renovieren, und auf dem Weg nach Beit El war der Horizont voller Baukräne in den jüdischen Siedlungen.

Vor ein paar Tagen war eine E-Mail von Rivka Singer in der Mailbox gelandet mit einem knalligen Betreff: "Wegen Baustopps in jüdischen Siedlungen findet schwangere Frau von Beit El keine Wohnung." Sie stehe gerne für Interviews zur Verfügung, um einen Termin zu vereinbaren, möge man sich per Mail mit ihr in Verbindung setzen. Die Adresse ist nicht ihr Name, sondern ihre Ideologie: NaturalGrowth@gmail.com, natürliches Wachstum.
Seit dem Amtsantritt von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu streiten die USA und Israel über die jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Obama verlangt von Israel einen Stopp des Siedlungsbaus, Netanjahu aber will die Wehrdörfer im Westjordanland ausbauen, um dem "natürlichen Wachstum" nachzukommen. Die Palästinenser fordern die Auflösung sämtlicher 121 jüdischer Siedlungen und den Umzug von allen 300 000 jüdischen Siedlern nach Israel.

Die wiederum setzen in jüngster Zeit neue Waffen im Kampf um die Gunst ein: Statt zu demonstrieren, Straßen zu blockieren oder Olivenhaine von Palästinensern anzuzünden, wollen die jüdischen Siedler jetzt mit E-Mail-Kampagnen und Tourismus das Westjordanland auch für die attraktiv machen, die Angst vor dem Westjordanland haben, die Besatzung ablehnen oder einfach nie auf die Idee kämen, dorthin zu fahren. Mit Boutique-Weinkellern, Kaffeehäusern, Reitstunden und Schwimmbadspaß wollen die jüdischen Siedler auch Nicht-Siedler in das besetzte Gebiet locken und vor allem auch jene, die am Strand von Tel Aviv auf den Wellen surfen und in der Sonne braten.

Die Idee sei "so einfach", sagt Mosche Ascher, der im Gemeinderat der Siedlerregion Binjamin sitzt, und "so effektiv": "Wir laden die Menschen ein, uns zu besuchen. Sie müssen ja nicht hier leben. Und wenn sie dann erst einmal die Schönheit von Jehuda und Schomron kennenlernen, wird es ihnen schwerfallen, für eine Auflösung der Siedlungen zu argumentieren." Das Gebiet, das Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 erobert hat und in dem rund 2,5 Millionen Palästinenser nach den Vorschriften der israelischen Armee leben, solle "ein Ausflugsziel für die ganze Familie" werden. Man wolle den potentiellen Besuchern die Angst nehmen. "Die Medien" verzerrten die Wirklichkeit, sagt Siedlerführer Ascher. "Es ist ja nicht so, dass man hier jede Sekunde fürchten muss, von Palästinensern erschossen zu werden. In Tel Aviv kann man auch überfahren werden." Ascher geht trotzdem auf Nummer sicher: Die Fenster in seinem Auto bestehen aus Panzerglas.

Jakob und Neema Berg haben sich ihren Traum erfüllt, auf einem Hügel nahe der jüdischen Siedlung Psagot. Eine Boutique-Weinkellerei mit Besucherzentrum, Restaurant und einem Gartengrundstück für Hochzeiten. Das erst vor wenigen Wochen eröffnete Gebäude liegt wie ein Raumschiff im staubtrockenen Westjordanland. Ein grüner Rasen, Bougainvillea-Büsche, ein klimaanlagengekühlter Weinkeller und ein Parkplatz, der sich langsam füllt. An diesem Abend feiert eine Familie den 80. Geburtstag der Großmutter, die jüdischen Kellner im Weinkeller-Restaurant platzieren Blumengestecke auf den Tischen, ein Palästinenser wässert den Garten vor dem Gebäude. Jakob Berg muss ständig Anrufe entgegennehmen, weil Gäste sich verfahren haben. Unter ihnen auch, sagt er, "Gäste, die noch nie in ihrem Leben im Westjordanland waren".

Jeder Gast wird mit Handschlag begrüßt, ein Klavierspieler spielt leichte Stücke, die 80 Jahre alte Großmutter ist begeistert "von dem schönen Blick, den man von hier hat". Wenn man genau schaut, sieht man die Ausläufer Jerusalems, aber auch die acht Meter hohe Betonmauer, die das Westjordanland durchtrennt. Der Palästinenser, der im Garten eine Zigarettenpause einlegt, zeigt auf sein palästinensisches Dorf. Er sagt, er sei froh, dass er im Weinkeller "Nachalat Binjamin" Arbeit gefunden habe. Dann tut er so, als verstünde er Fragen nach den Siedlern nicht. Und schweigt.

Im Prospekt des Weinkellers steht, man sei stolz auf den Ort, der seit Jahrtausenden von jüdischer Geschichte geprägt sei. Wenn man die Bergs fragt, was sie von der Diskussion über die Auflösung jüdischer Siedlungen halten, steht Neema Berg der Schrecken im Gesicht geschrieben: "Es wäre das Ende der Welt, wenn wir unseren Weinkeller wieder auflösen müssten. Man würde uns von dem Land vertreiben, zu dem wir gehören und das uns gehört." Die Bergs haben jetzt auch eine englische Internetseite eingerichtet, um ausländische Touristen für Weinproben, französischen Käse und Mousse au Chocolat im Westjordanland zu interessieren.

Die Familie von Doron und Tamar Hirschfeld dagegen verzichtet ganz aufs Internet und Werbung, sondern setzt auf Mundpropaganda. Sie haben in Chavat Jair ein Kaffeehaus eröffnet, das erste in einer illegalen Siedlung im Westjordanland. Rund 100 wilde Siedlungen gibt es im Westjordanland, Ortschaften, die ohne offizielle Genehmigung Israels errichtet wurden. Die Hirschfelds sind Chavat-Jair-Pioniere. Vor acht Jahren haben sie den Außenposten zusammen mit befreundeten Siedlerfamilien gegründet, als der frühere Premierminister Ariel Scharon die Siedler aufrief: "Erobert die Hügel im Westjordanland!" Doron Hirschfeld sagt: "Das haben wir einfach gemacht." Er arbeitet als Rechtsanwalt und pendelt jeden Tag nach Tel Aviv ins Büro, "eine halbe Stunde, wenn kein Stau ist".

Die Familie mit den sechs Kindern lebt in einer großzügigen Villa mit einem Swimmingpool und Weinreben, die sich um das Terrassendach schlängeln. Gleich nebenan hat Doron Hirschfeld das Café errichtet, die "Hütte von Tamari". Das Haus aus Holz und mit zwei Terrassen ermöglicht einen Blick auf die Berge des Westjordanlandes nahe der Großsiedlung Ariel. Einen unverstellten Blick, wie die Hirschfelds preisen: "Sie sehen nur Natur und kein einziges palästinensisches Dorf!" Im Café sind an diesem Freitagmorgen alle Tische draußen und drinnen besetzt. Die Gäste bedienen sich am Büfett, es gibt Omelette nach Wunsch, Kaffee und Tee und Kuchen und Kekse.

Auf der Terrasse sitzt ein älteres Ehepaar, zwei Juden aus den USA, Rivka Rosenberg, 71 Jahre alt und aus Miami, und Jay Shapiro aus New York, 74 Jahre alt. Die beiden haben sich erst vor drei Jahren kennengelernt und sind jetzt ein Paar. Sie strahlen, wenn sie von ihrem Leben erzählen, sie spielen Tennis in der jüdischen Siedlung Karnei Schomron, gehen ins Kino in Jerusalem, und gerade eben sind sie zum ersten Mal in Tamaris Hütte. Die Aussicht sei "wie in der Schweiz oder in der Toskana", sagen sie und wollen, dass man ihnen zustimmt. "Und diese frische Luft erst, die haben Sie in Tel Aviv nicht!" Sie wollen ihren Freunden von dem Café erzählen, und spielen mit dem Gedanken, hier auch ihr viertes Jubiläum zu feiern.

Tamar Hirschfeld sagt, ihr Café sei "gut gebucht", Geburtstagsfeiern, Beschneidungsfeste und Jubiläen, "die Leute schätzen unser Essen." Und die Lage auch? "Wir haben jede Woche Gäste hier, die zum ersten Mal im Westjordanland sind. Manche kommen mit Angst hierher und nach einer Stunde sagen sie sich, vor was habe ich mich eigentlich gefürchtet . . ." Und manche kämen mit scheinbar unumstößlichen Überzeugungen: "Vor ein paar Wochen war hier eine Gruppe linker Politiker, die waren auf einer Erkundungstour. Am Ende haben sie gesagt, okay, alle Siedlungen müssen geräumt werden, nicht aber diese hier, wo es so schön ist." Doron Hirschfeld sagt, das sei genau der Effekt, den man erzielen wolle: "Die Leute sollen mit eigenen Augen sehen, wie schade das wäre, wenn man das Westjordanland aufgeben würde." Sein nächstes Projekt stehe auch schon fest: Die Hirschfelds wollen jetzt eine Pension in ihrer Siedlung bauen.

Doron Hirschfeld ruft seinen Freund Daniel Binun an, der eine halbe Autostunde von Chavat Jair in Givat Harel eine Pferdefarm besitzt. Er soll einem von den Pferden erzählen, man soll einen "richtigen Eindruck" vom Westjordanland bekommen. Auf seiner Pferdefarm aber gibt sich Benin dann wortkarg. Ja, er gebe Reitstunden, er besitze sechs Pferde, die Leute kämen aus dem ganzen Land, gerade jetzt, in den Sommerferien, auch Kinder, die Konzentrationsstörungen haben, bekämen Therapiestunden auf den Pferden, aber er habe jetzt keine Zeit mehr, er müsse die Pferde für eine Stunde satteln. Was man noch wissen wolle? Ob er verstehen könne, dass die Palästinenser das ganze Westjordanland für ihren künftigen Staat beanspruchen. Binun schiebt den Cowboyhut zurecht und brummt dann nur: "Wir tun mit unseren Siedlungen hier ja keinem weh."

Auf der Hauptstraße Nummer 60 nach Jerusalem steht ein junger israelischer Soldat und hebt den Daumen. Er darf übers Wochenende nach Hause. Sein Gewehr hat er auf dem Schoß liegen. Er fragt, woher man kommt. In einem Ton, der wie der Anfang eines Verhörs klingt, aber der Eindruck kann auch durch sein Gewehr entstanden sein. Seine Augen verraten Neugier, so viel, wie seine Uniform erlaubt. Wie man in Deutschland über das Westjordanland denke, will er wissen. Ob man "für oder gegen Israel" schreibe. Er erzählt von seinem Wehrdienst. Er sagt, die meiste Zeit stehe er vor einer jüdischen Siedlung und kontrolliere Besucher. Den Armeedienst habe er sich anders vorgestellt. "Sinnvoller, irgendwie".

(aus: SZ, 29. Juli 2009)